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Gedenkstätte Sachsenhausen
Eingang zur Gedenkstätte Sachsenhausen

Der Kampf gegen die Verharmloser

Als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte hat Alexander Gauland die Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet. Der darauf folgende Aufschrei war ganz nach dem Geschmack der "Alternative für Deutschland". Provozieren, wo immer es geht, gehört zu ihrem politischen wie populistischen Handwerk. Das bekommen auch immer wieder NS-Gedenkstätten zu spüren. Nämlich dann, wenn AfD-Gruppen sich durch das Gelände etwa ehemaliger Konzentrationslager führen lassen und dann die NS-Geschichte, sagen wir es vorsichtig: kritisch hinterfragen. Indem sie Fakten verdrehen, anzweifeln - oder etwa die Widerstandsgruppe um Staufenberg gegen Hitler oder auch die "Weiße Rose" in die Traditionslinie der AfD überführen wollen. Wie gehen Gedenkstätten mit diesen Provokationen um? Sind es nach dem Aufstieg der AfD mehr geworden oder haben sich nur Art und Weise geändert? Ronny Arnold hat verschiedene Gedenkorte besucht.

 

Darius Finck steht am Rande eines großen, in Bronze gegossenen Modells von Sachsenhausen und begrüßt die jungen Besucher. 

“Herzlich Willkommen in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Ich bin Darius, ich führe euch heute hier ein bisschen rum. Ihr habt das gerade als Schulthema gehabt, den Nationalsozialismus.” 

In kurzen, knappen Sätzen erklärt der 25jährige den um ihn versammelten 30 Jugendlichen die Entstehung des Konzentrationslagers. 

“Ihr seht hier das Stammlager mit den Baracken. Und ihr seht diese Dreiecksformation, sieht sehr speziell aus. Die SS wollte ihren Machtanspruch durch diese Architektur auch versinnbildlichen und Sachsenhausen sollte quasi der Prototyp eines komplett modernen Konzentrationslagers werden.”    

Die Schulklasse dieser Führung kommt aus Rendsburg in Schleswig-Holstein. Die Gruppe hört aufmerksam zu, Nachfragen gibt es erst einmal keine. Auch keine Provokationen. Darius Finck weiß aber von Kollegen, dass es solche schon gegeben hat, das sie allerdings bislang eine Ausnahme waren. Das betont auch Horst Seferens, der Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, zu der Sachsenhausen gehört. Er erinnert sich allerdings an eine, die für ihn exemplarisch war.  

“Es gab im vergangenen Sommer im Juli einen Vorfall. Es waren Gäste, die aus dem Wahlkreis der AfD-Bundestagsabgeordneten Weidel zu einem Bildungsbesuch nach Berlin reisten. Und aus dieser Gruppe heraus haben einige wenige Teilnehmer von Anfang an diese Führung gestört. Den Referenten permanent unterbrochen, hinterfragt, was er erzählt, um die NS-Verbrechen zu verharmlosen, angebliche Verbrechen der Alliierten angeführt. Bis dahin, dass sie die Massenmorde in Sachsenhausen und die Gaskammer infrage gestellt haben.”

Die Führung wurde daraufhin abgebrochen, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Für Horst Seferens eine klare Provokation aus den Reihen der AfD - von versierten Revisionisten, die sich üblicher Strategien und Argumentationsmuster von Rechtspopulisten bedienen. 

“Wo man davon ausgehen konnte, dass da ein fest verankertes, revisionistisches Weltbild dahintersteckt. Passt natürlich ins Bild, dass man immer wieder beobachten kann bei Rechtspopulisten: zu provozieren, Tabus zu brechen, Diskussionen anzuzetteln mit dem Ziel, dass sich in kleinen Schritten die Dinge verschieben. Die Bewertung der NS-Vergangenheit, dass sich die Erinnerungskultur verändert.”

Etwa hin zu einem Vogelschiss in der deutschen Geschichte? So hatte der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland die Zeit des Nationalsozialismus bezeichnet. Die Fakten zu Sachsenhausen sprechen eine andere Sprache: Etwa 200 Tausend Häftlinge waren bis 1945 hier interniert - größtenteils politische Gefangene, Juden, Homosexuelle, sogenannte Asoziale. Zehntausende starben allein in diesem Lager - durch Hunger, Zwangsarbeit, Krankheiten, Misshandlungen, Massenerschießungen. 

Die Gruppe um Darius Finck läuft nun über das Gelände des Hauptlagers von Sachsenhausen. Gerade haben die Schüler eine der alten Holzbaracken betreten. Türen und Dielen knarren, im vorderen Teil stehen schwere Holztische und -bänke, im hinteren Bereich Mehretagenbetten. Darius Fink erzählt. 

“So eine Baracke konnte man innerhalb von zwei, drei Tagen relativ schnell aufbauen. Ihr seht da drüben schon den Schlafbereich mit den Betten. Hier der Tagesraum. Wir sind jetzt 30 Leute und der Raum ist schon fast voll. Stellt euch jetzt mal vor, ihr müsst hier jetzt mit 300 Leuten in diesem Schlafraum sein.”        

Betretenes Schweigen. Die Blicke der Schüler wandern durch den Raum. Die schiere Menge an Häftlingen, die hier tagtäglich, auf engstem Raum, leben, essen und schlafen musste, ist kaum vorstellbar. Atmo Direkt neben der alten Baracke befindet sich auf zwei Etagen eine der zahlreichen Ausstellungen der Gedenkstätte. Die Holzbalken  und -wände im Eingangsbereich sind schwarz-verkohlt. Es sind Brandspuren aus dem Jahr 1992. Jugendliche Neonazis aus Oranienburg steckten damals die Baracke in Brand. Bewusst hat man die Brandspuren gelassen, um an den Übergriff zu erinnern. Der hintere Flügel brannte völlig aus. 


An dieser Stelle steht jetzt das Museum. In kleinen Grüppchen laufen die Schüler durch den Raum, vorbei an eindrücklichen, großformatigen Fotos aus dem KZ-Alltag. In einer Vitrine im Gang hängt gestreifte Häftlingskleidung. Der 20jährige Lucka ist sichtlich bewegt - von den Eindrücken vor Ort. Aber auch, wie manche heutzutage damit umgehen. 

“Ich finde es schwer zu begreifen, sich hinzustellen und die Brutalität der Konzentrationslager zu leugnen. Ich weiß nicht, ob diese Leute diese Lüge selbst als Wahrheit verinnerlicht haben oder ob sie absichtlich oder bewusst einen Gegenpol spielen wollen. Das hab ich in meiner Klasse zum Glück noch nicht erlebt. Deshalb ist es sehr, sehr wichtig, dass es eben die Gedenkstätten gibt, um das hautnah zu erleben. Allein hier durchzugehen und sich vorzustellen, was eben passiert ist, macht sehr, sehr viel aus und entwickelt diese starke Bewusstheit, dass so etwas auf gar keinen Fall wieder passieren darf.”

Den ganzen Beitrag hören im Länderreport bei DLF Kultur

teaserbild
Schülergruppe in der Gedenkstätte Sachsenhausen

ein Beitrag von:
Ronny Arnold


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ronny.arnold_at_mediendienst-ost.de
über den Autor
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Jahrgang 1975, aufgewachsen in Sachsen und seit 2003 beim Mediendienst Ost. Vorher Studium der Soziologie, Journalistik und Politikwissenschaft an der Universität Leipzig und in Middlesbrough (UK). Ich arbeite als Autor für öffentlich-rechtliche Hörfunkanstalten der ARD (u.a. DLF, MDR, WDR, DLF Kultur, SWR, BR), als Tonassistent bei Fernsehproduktionen, Autor für Fernsehbeiträge und schreibe ab und an Texte für Zeitungen, Online-Portale und Magazine.

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