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Hanna und der Überfall

Hanna erlebt bei einem Urlaub in der Dominikanischen Republik einen Überfall. Zurück in Deutschland holt ihr Trauma sie ein.

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Hanna: "Das war schön, die hatten sich das selber gebaut, ein kleiner Pool direkt am Haus und ansonsten war weit und breit: Grün, Palmen, Bananenbäume – ich musste immer an Jurassic Park denken. Wenn wir morgens aufgestanden sind, dann bin ich immer auf die Terrasse gegangen, ganz früh, wenn es dann hell wurde und hab da den irre leckersten Kaffee meines Lebens getrunken und dann da rausgeguckt in das Grüne und es war so still. Und das war irre schön. (...) Irgendwie auch so, denke ich gerade, so ein krasser Gegensatz zu dem, was danach passiert ist, wo es sich dann ja komplett gedreht hat alles."

Ich sitze mit Hanna in ihrem Wohnzimmer in Bonn und es ist Dezember. Draußen ist der Himmel so komisch weiß, dass alles irgendwie grau aussieht. Aber als Hanna anfängt zu erzählen, hab ich sofort ein Bild im Kopf – und das sieht fast genauso aus wie das Poster von Frida Kahlo, das hier über dem Sofa an der Wand hängt. Kahlo hat sich selbst gemalt. Sie steht da mit halb nacktem Oberkörper vor dem sich grün rankenden Dschungel. Sie hat eine Tasse Kaffee in der einen Hand und eine Zigarette in der anderen Hand.

Carolin: „Dieses Bild da...“

Hanna: "Stimmt. (...) Ja geraucht hab ich auch immer. Krass, ist mir noch gar nicht aufgefallen. Ich hab das ausgesucht, weil ich Frida Kahlo total faszinierend finde, aber auch das Motiv total cool fand. (...) Ich glaube, das habe ich wenn dann unterbewusst irgendwie ausgesucht. Aber, mein Freund sagt das auch ab und zu: 'Du hast es aber auch mit der Karibik.' Ich glaub, das ist was Unbewusstes."

Hanna hat Kaffee und Schokolade zwischen uns auf den Tisch gestellt. Sie ist eine sehr aufmerksame Frau. Mitte 30, blond, blaue Augen. Sehr schön, auf eine mädchenhafte Weise irgendwie. Sie will mir jetzt was erzählen, was sie anderen Leuten eigentlich nie jemandem erzählt. Ab indem sie mir das jetzt erzählt, erzählt sie es eigentlich ganz vielen Leuten. Das ist paradox irgendwie. Sie hat sich sogar per E-Mail bei uns gemeldet. Warum also, macht sie das jetzt? Warum erzählt sie davon?

"Häufig siehst du ja immer das was du sehen sollst, und was die Menschen dich auch gern sehen lassen möchten, und machst dir daraufhin ein Bild, aber dieses Bild ist so falsch."

Hanna wurde in der Dominikanischen Republik überfallen

Hanna: "Erst einmal habe ich jetzt nochmal die Möglichkeit, das zu erzählen ohne dass da so eine direkte Reaktion darauf kommt. Ich erzähle das jetzt nicht wieder meiner Familie und muss Angst haben oder damit rechnen, dass sich jetzt jemand von mir abwendet, dem das zu viel ist. (...) Das andere ist (...) Ich bin mir ganz sicher, dass jeder Mensch seine Geschichte hat und ein Päckchen zu tragen hat. Aber die Menschen, denen es einfach immer gut geht und die einfach immer Glück haben, die gibt es nicht, glaube ich nicht. Denn häufig siehst du ja immer das was, du sehen sollst, und was die Menschen dich auch gern sehen lassen möchten, und machst dir daraufhin ein Bild, aber dieses Bild ist so falsch. Wo ich mir auch selber dann sagen muss: Die Leute haben eine Geschichte von der du keine Ahnung hast und dir nicht ansatzweise anmaßen kannst ein Urteil zu fällen."

Diese Geschichte, die Hannas Leben für immer verändert hat, liegt jetzt über zehn Jahre zurück. Zu ihrem Ex-Mann und seinen Eltern hat sie keinen Kontakt mehr. Aber was sie damals erlebt hat und wie sie es erlebt hat, möchte sie erzählen. Als sie anfängt wirkt sie, als würde das alles vor dem inneren Auge wieder ablaufen: Würde sie die Strände wieder sehen, die Musik wieder hören. Als wäre sie wieder richtig da in der Dominikanischen Republik.

Hanna: "Wir waren ganz viel Schwimmen. Entweder wir sind an manchen Tagen oben im Haus geblieben, da haben wir uns dann an den Pool gelegt. Ich habe mir an einem Tag den Sonnenbrand meines Lebens geholt mit ganz schlimmen Brandblasen auf den Füßen. Oder wir sind runtergefahren nach Cabarete und sind dann noch da schwimmen gegangen. (...) Um sechs war es da schon dunkel und die Sonne ging auch früher auf. Wir sind da eigentlich mit den Hühnern ins Bett gegangen, waren auch kaputt vom Tag und unseren Aktivitäten, sind ganz früh wieder aufgestanden. An dem Abend war das anders. Ich weiß gar nicht mehr so genau warum. Auf jeden Fall haben wir aber mit der Mutter meines damaligen Mannes im Wohnzimmer gesessen. Der Schwiegervater hatte sich mit Kopfschmerzen in dass Schlafzimmer zurückgezogen."

"Ich weiß, dass wir kurz aufgehorcht haben und dann haben wir sogar noch drüber gesprochen, was das jetzt sein könnte. Keiner von uns hat sich in irgendeiner Form Sorgen darüber gemacht, dass das jetzt irgendwas Gefährliches sein könnte."

Hanna über den Moment vor dem Überfall

Hanna: "Es gab halt relativ viel Getier da oben im Wald eben auch um das Haus herum. Da ist es schon öfter mal passiert, dass dann irgendwie auf einmal eine Kröte in der Küche saß oder irgendwie größere Spinnen im Badezimmer dann tot gesprüht werden mussten und an dem Abend haben wir ja irgendwann ein Geräusch gehört. In meiner Vorstellung war das ein Geräusch davon, als ob ein Tier gegen das Fliegengitter vom Fenster oder von der Tür springt. So hat sich das für mich angehört und ich weiß, dass wir so kurz aufgehorcht haben und dann haben wir da sogar noch drüber gesprochen, was das jetzt sein könnte. Keiner von uns hat sich in irgendeiner Form Sorgen darüber gemacht, dass das jetzt irgendwas Gefährliches sein könnte."

Drei Männer stürmen ins Haus – Schüsse fallen

Hanna: "Also eigentlich sind die so reingeplatzt. Die müssen durch den Flur geschlichen sein, was wir auch nicht mitbekommen haben, das erste Mal als nach meiner Erinnerung ich sie gesehen habe (...), war als auf einmal wirklich plötzlich drei Männer im Wohnzimmer standen. Drei Dominikaner. Ein großer, kräftiger Dominikaner, der so eine Maske trug und der so ne Machete in der Hand trug – das sind ja diese langen, großen Messer. Dann ein etwas kleinerer, dünnerer Dominikaner, der auch nicht maskiert war, der auch ne Machete hatte. Und ein dritter Dominikaner, der ganz dünn war, ganz schmächtig, und der hatte ne Perücke auf und der hatte ne Pistole in der Hand. Und die haben uns angeschrien auf Spanisch. Und ich weiß, dass mir das in diesem ersten Moment völlig absurd vorkam und ich in den ersten zwei, drei Sekunden gedacht habe: Das ist hier ein Theaterstück. Das ist Quatsch. Auch weil es so absurd war, weil der kleinste Dominikaner mit der Waffe, der diese Perücke trug, die Haare, also, die sind so büschelweise auf den Boden gefallen. Wirklich wie, als ob die drei auf so ner Bühne stehen und das ein ganz schlechtes Schauspiel ist. Und dann weiß ich, dass meine Schwiegermutter angefangen hat zu schreien."

(...)

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/trauma-und-tabu-wenn-du-stumm-bleibst

Text und Regie: Carolin Haentjes

Sprecherin: Carolin Haentjes

Moderation: Paulus Müller

Redaktion: Julia Rosch

Länge: 25:30

Eine Produktion von Deutschlandfunk Nova 2019.

ein Beitrag von:
Carolin Haentjes


+49 (0)341 3067988
carolin.haentjes_at_mediendienst-ost.de
über die Autorin
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Carolin Haentjes ist freie Radio- und Fernseh-Autorin für die politischen Magazine des MDR und Feature-Formate des Deutschlandradios. Für das internationale literaturfestival berlin kuratierte und moderierte sie Veranstaltungsreihen zu Feminismen, sowie Identitäts- und Gesellschaftsthemen. Vor ihrem journalistischen Volontariat an der Electronic Media School in Potsdam studierte sie Politik, Kulturwissenschaften und Literatur in Bremen, Paris und Berlin.

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