Die Autoren

Noch Kind, schon Braut

Um wenigstens ihnen die rasant wachsende Armut und die Unsicherheit zu ersparen, verheirateten syrische Flüchtlingsfamilien ihre Töchter immer früher. Manche Braut ist erst dreizehn.


Wären Tränen aus Gold, gäbe es Möbel in dieser Wohnung. Vielleicht sogar einen Kühlschrank, der funktioniert, Spielzeug für die Kinder, Wände, die nicht von Schimmel zerfressen sind. Dann müsste niemand auf dünnen, schäbigen Matratzen schlafen, in die schon zu viele Flüchtlinge ihr Leid geweint haben. Dann gäbe es Hoffnung. Doch auf ein Wunder wie im Märchen wartet die syrische Flüchtlingsfamilie Abd-Almajeed in Zarqa, einer Indus triestadt nordöstlich der jordanischen Hauptstadt Amman, vergeblich. Die Tränen der Tochter erzählen von einem gestohlenen Leben, genommen von einem Krieg, der in einer kalten Jännernacht plötzlich vor ihrer Haustür explodierte. Der sie im Regen zur Flucht trieb, nur mit dem, was sie am Leib trug, immer weiter weg von ihrer Heimat, bis sie, ihre Eltern und die sieben Geschwister in einem Land ankamen, das ihnen fremd ist, in dem sie nicht arbeiten dürfen, wo sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Auf Lebensmittelmarken, die nicht zum Leben reichen, auf Vermieter, die mit der Not der Flüchtlinge Geschäfte machen. Das Mädchen vertraute auf den Schutz ihrer Familie. Vergebens.

Die Tränen der Mutter erzählen von einer Entscheidung, die nicht mehr zurückgenommen werden kann, so sehr die Mutter es sich auch wünscht. Von einer Hochzeit, die der Familie helfen sollte, allen voran der Tochter. Sie sollte ein besseres Leben haben, die Chance auf einen Neuanfang. Dass sie noch ein Kind war – was zählt das schon in Zeiten des Krieges? Der Vater schwer krank und taubstumm, die gesamte Last liegt auf der Mutter, die morgens, wenn es noch dunkel ist, das Haus verlässt und illegal in einem kleinen Laden arbeitet. Das Geld reicht trotzdem nicht, reichte nie, seitdem sie ihr Haus und ihre Heimat verlassen mussten. Die Eltern wollten Sicherheit für ihre Tochter, die Lehrerin werden wollte. Eine glückliche Zukunft. Doch die fand sie nicht. [...]

Reportage, erschienen in der NZZ

ein Beitrag von:
Kristin Kasten


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über die Autorin
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Kristin Kasten ist Absolventin der Reportageschule und schreibt seit 2008 als freie Journalistin für überregionale Zeitungen und Magazine. Für ihre Recherchen besuchte sie Kaffeebauern in Ruanda, Embera-Indianer in Panama, Sexarbeiterinnen in Myanmar, Austernfischer in Irland und Obdachlose in Reutlingen. Als freie Journalistin lebt sie in Leipzig, arbeitet jedoch immer dort, wo die nächste Geschichte auf sie wartet. Für Ihre Arbeit wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet und erhielt verschiedene Recherchestipendien. Sie ist Mitglied im Journalistenverband Freischreiber. 

Veröffentlichungen bisher u.a. in: FAZ, taz, NZZ, Der Spiegel, Die ZEIT, brand eins, Frankfurter Rundschau, enorm,  Sueddeutsche.de, Tagesspiegel, ZEIT Online, GEOlino, Für Sie, natur und viele mehr.

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