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Ehemaliges Außenlager in der Kamenzer Straße in Leipzig

Rechtsrock im ehemaligen KZ-Außenlager

Allein im Sommer 1944 arbeiteten neben sechs Millionen zivilen Arbeitskräften auch zwei Millionen Kriegsgefangene und über eine halbe Million KZ-Häftlinge im Deutschen Reich. Sie wurden, teils unter wiedrigsten Bedingungen, eingesetzt, um vor allem die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. So war das auch in Leipzig, wo in riesigen Werkshallen einer der damals größten deutschen Rüstungskonzerne, die HASAG, Munition und Panzerfäuste herstellte. Und dafür sogar KZ-Außenlager errichtete. Heute allerdings erinnert in Leipzig kaum noch etwas an dieses dunkle Kapitel der Nazizeit. Und historische Orte, wie etwa das größte Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, gehört gar einem bekennenden Rechtsextremisten. Wie kann das sein?

 

Burkhard Jung greift zu deutlichen Worten: "Die momentane Situation des Gedenkortes ist unerträglich und im Grunde nicht hinnehmbar. Um es deutlich auszusprechen: Die Immobilie ist in der Hand eines einschlägigen Neonazis. Das ist für einen historischen, authentischen Ort dieser Prägung ein Desaster."

Nur: Die Situation ändern, das kann der Leipziger Oberbürgermeister derzeit offenbar nicht. Und so steht er im Sommer 2022 in der Kamenzer Straße, spricht sein Bedauern ins Mikrofon, lauscht mit gut 50 weiteren Gästen der Klaviermusik - und weiht am Ende eine Gedenkstele ein, die dem historischen Ort zumindest ein wenig Würde verleihen soll. 

Um das Desaster der Kamenzer Straße 12 besser zu verstehen, muss man etwa einen Kilometer laufen, in die Permoserstraße. An der Außenfassade eines beige getünchten Flachbaus steht in großen Lettern "Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig“. Nur ein metallenes Drehkreuz trennt den Gedenkort von der vielbefahrenen Straße gleich nebenan. Die Erinnerungsstätte selbst ist klein. Es ist ein ehemaliges Pförtnerhäuschen aus den 1970er Jahren, kein historisches Gebäude der NS-Zeit: "Wir sind jetzt hier auf dem ehemaligen Werksgelände der HASAG und heute geht es um das Frauenaußenlager, was hier bisschen weiter entfernt liegt. Zeig ich euch nachher auch noch auf der Karte. Und dann noch was zu den aktuellen Vorgängen in der Kamenzer Straße 12."

Annkathrin Richter ist Historikerin, seit Jahren klärt sie über Zwangsarbeit in Leipzig und speziell beim Rüstungskonzern HASAG auf. Mehrmals im Jahr auch hier in der Gedenkstätte. Im einzigen Erinnerungsraum hängen alte Plakate und Karten an der Wand, daneben stehen Schautafeln zur weit verzweigten Kriegswirtschaft der HASAG. Die Hugo Schneider AG stellte im Dritten Reich u.a. Panzerfäuste für Hitlers Armee her - gebaut vor allem von Zwangsarbeiterinnen. Interniert waren sie in der Kamenzer Straße 12. Ab 1944 war es das größte Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald: Über 5000 Häftlinge, eingepfercht auf engstem Raum, in zu Blöcken unterteilten hohen Fabrikhallen. Die Kantine befand sich im Erdgeschoss, der Waschbereich im Keller. 

Geschlafen wurde auf schmalen, mehrstöckigen Holzpritschen, erzählt Annkathrin Richter und zeigt das Gelände auf einer alten Karte: "Hier ist die Kamenzer Straße. Das Gelände war mit Stacheldraht umzäunt und SS-Posten waren an den Grenzen aufgestellt. Und das Lager bestand bis zum 13. April 1945 und ab dann evakuierte die SS das Lager und schickte die Zwangsarbeiterinnen auf mehrere Todesmärsche quer durch Sachsen. Bis Kriegsende gab es in Sachsen insgesamt 60 Außenlager, davon 12 vom Lager Buchenwald. In Sachsen waren die meisten an einen Rüstungskonzern angegliedert, wie hier an die HASAG. Ein Großteil der Zwangsarbeiterinnen kam aus dem besetzten Polen, insgesamt gab es Frauen aus 28 verschiedenen Ländern. Ein Drittel der Gefangenen war jüdisch."

Fünf Interessierte lauschen Richters Vortrag an diesem Samstagnachmittag. Immerhin, sagt Josephine Ulbricht, die vor der Gedenkstätte wartet - bereit für einen kleinen Rundgang.

 

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ein Beitrag von:
Ronny Arnold


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über den Autor
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Jahrgang 1975, aufgewachsen in Sachsen und seit 2003 beim Mediendienst Ost. Vorher Studium der Soziologie, Journalistik und Politikwissenschaft an der Universität Leipzig und in Middlesbrough (UK). Ich arbeite als Autor für öffentlich-rechtliche Hörfunkanstalten der ARD (u.a. DLF, MDR, WDR, DLF Kultur, SWR, BR), als Tonassistent bei Fernsehproduktionen, Autor für Fernsehbeiträge und schreibe ab und an Texte für Zeitungen, Online-Portale und Magazine.

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