Die Autoren

Der russische Überfall auf die Ukraine wird von einer Flut von Desinformation und offener Propaganda begleitet. Über Methoden und Motive systematischer Manipulation.

mehr zum MDO

Im Desinformationskrieg

teaserbild

Auf den ersten Blick könnte man den Artikel für eine detailreiche Beweisführung halten. Unter der Überschrift „Russland bombardiert eine Geburtsklinik? Marianna und die neue Brutkastenlüge“ bezichtigt der Blogger Thomas Röper die ukrainische Regierung und Journalisten der „Kriegspropaganda“. Der Autor gibt die Position der „russischen Streitkräfte“ wieder, wonach die Klinik in Mariupol zum Zeitpunkt des Angriffs „zu einem Stützpunkt des Asow-Bataillons umfunktioniert worden“ sei. Dagegen behaupte die ukrainische Regierung, Russland habe eine Geburtsklinik bombardiert. Einerseits, andererseits – so simuliert Röper eigene Objektivität und verspricht eine „Spurensuche“ mit dem Fazit: Der „angebliche Luftangriff auf die Geburtsklinik“, der weltweit für Entsetzen sorgte, sei eine Inszenierung, die vermeintlichen Opfer „Schauspieler“. 


Röper ist u.a. Co-Autor des Buches „Vladimr Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“, als Wohnsitz wird St. Petersburg angegeben. Als wichtigsten Beweis seiner „Spurensuche“ im Fall Mariupol veröffentlicht Röper Fotos einer jungen Frau, Marianna, einer ukrainischen Beauty-Bloggerin, die angeblich in verschiedenen Rollen auftrete. Mal gehe sie selbst eine Treppe hinunter, mal werde sie „auf der Bahre die gleiche Treppe hinuntergetragen“. Bei genauerem Hinsehen stelle man fest, „dass es die gleiche junge Frau ist“, so der Blogger: „Jeder kann ohne allzu große Probleme erkennen, dass die Aufnahmen von dem angeblichen russischen Angriff gestellt sind.“ Veröffentlicht wurde der Artikel auf Röpers Blog anti-spiegel.ru, das die gemeinnützige Organisation CeMAS hierzulande zu den reichweitenstarken Kanälen im verschwörungsideologischen Milieu zählt.


Wie etliche Kolleg:innen von dpa oder ZDF hat auch die Faktencheckerin Sarah Thust von Correctiv mit ihrem Team die Erzählung über die angebliche Inszenierung in Mariupol akribisch geprüft. Sie haben Bilder verglichen und Berichte vor Ort ausgewertet. Correctiv kommt zu dem eindeutigen Ergebnis: „Nein, diese Fotos verletzter Frauen belegen keinen inszenierten Angriff.“ Die abgebildete Bloggerin und die Frau auf der Bahre seien zwei verschiedene Frauen. Die Verletzte auf der Bahre habe andere Gesichtszüge und sei Recherchen der Nachrichtenagentur AP zufolge später verstorben. Bei der Frau in dem auffällig gepunkteten Pyjama handele es sich dagegen tatsächlich um eine Bloggerin, die zuvor auf Instagram ihre Schwangerschaft dokumentiert hat. Später hat AP über die Geburt ihres Kindes berichtet. 

 

Während in den Medien zwei verschiedene Nachnamen kursieren, was Thust mit dem Verweis auf den Mädchennamen sowie den Namen ihres Mannes erklärt, nahm Correctiv den Nachnamen schließlich ganz aus dem Text. „Um die Frau zu schützen“, wie Thust sagt. Eigentlich hätten auch die Gesichter verpixelt werden müssen. Doch angesichts des ungeheuerlichen Vorwurfs standen die Medien unter Druck. Am Ende hatte Priorität, die Geschichte von der angeblichen Schauspielerin als Lüge zu überführen. Um auch am konkreten Beispiel zu zeigen, woran Reportagen, Bildmaterial und Augenzeugenberichte keinen vernünftigen Zweifel zulassen: dass die russische Armee entgegen offizieller Beteuerungen systematisch zivile Ziele und die Zivilbevölkerung bombardiert, was als Kriegsverbrechen gilt. Dass russische Soldaten bei ihren Angriffen nicht vor Schwangeren und Kindern Halt machen. 

 

Der ganze Report bei journalist.de:

https://www.journalist.de/startseite/detail/article/im-desinformationskrieg

ein Beitrag von:
Michael Kraske


+49 341 3067988
kraskem_at_yahoo.com
über den Autor
profilbild

Michael Kraske, geboren 1972 in Iserlohn, Studium der Politikwissenschaft, Journalistik und Neueren Geschichte. Absolvent der Henri-Nannen-Journalistenschule. Sein politisches Sachbuch “Der Riss - Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört” (Ullstein 2020) stand auf der Bestenliste von DIE ZEIT, ZDF und Deutschlandfunk Kultur und wurde mit dem renommierten Spezialpreis der Otto-Brenner-Stiftung für kritischen Journalismus ausgezeichnet. Aktuell: “Tatworte - Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen” (Ullstein 2021) sowie als Mit-Herausgeber “Demokratie braucht Rückgrat - Wie wir unsere offene Gesellschaft verteidigen.” (Ullstein 2021). Sein Roman-Debüt "Vorhofflimmern" (freiraum-verlag 2016) erzählt von einer Hamburger Familie, die in den deutschen Osten auswandert und an rechter Gewalt zu zerbrechen droht. Der Roman “24/7” (freiraum-verlag 2018) handelt von Versuchung und Verführbarkeit.

Reportagen, Porträts und Essays u.a. für Spiegel Online,  Die Zeit, stern,  Geo, Tagesspiegel und Psychologie Heute,. Der Autor ist gefragter Gesprächspartner in Radio und TV zu den Themen Ostdeutschland, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus und wurde mehrfach für seine publizistische Arbeit ausgezeichnet. Neben sozialen und politischen Themen publiziert Kraske auch zu psychischen Krankheiten, Liebe und Tod.  Seine Geschichten erzählen von Ausgebrannten, Revolutionären, Borderlinern, Escort-Damen, Hassobjekten, Depressiven, Lebensrettern, Geflüchteten und Sterbebegleitern. Seit vielen Jahren beschreibt er die Folgen einer gesellschaftlichen Radikalisierung durch Rassismus, rechte Gewalt und institutionelles Versagen und schaltet sich essayistisch in gesellschaftliche Debatten ein. 

Rechtsextremismus: Die große Ost-Verharmlosung
17.07.2022

Es ist populär, Radikalisierungsprozesse im deutschen Osten als Akte der Emanzipation zu verklären - mit fatalen Folgen.
Michael Kraske

Sachsen: Sonderweg in die Sackgasse
12.12.2021

Während Patienten ausgeflogen werden, eskalieren in Sachsen rechte Proteste. Regierung und Polizei zeigen sich gegenüber Pandemie-Leugnern nachsichtig. Warum nur?